Diesen Winter habe ich zusammen mit Katherine May überwintert. In ihrem gleichnamigen Buch „Überwintern“ begleitete sie mich viele Wochen während meines eigenen Winters. Meistens gönnte ich mir ein Kapitel dieses Buchs in meiner mir selbst aufgelegten Mittagspause.
Schon das zarte pastellfarbene Cover sprach mich stark an gleichwie der Titel und sein Untertitel ‚Wenn das Leben innehält‘. Dazu klebte ein Aufkleber mit einem Zitat von Elizabeth Gilbert auf dem Buch: „Ebenso wunderschön und heilsam wie der Winter selbst.“ Ich kaufte mir das Buch.
„Es gibt Zeiten, da liegt unser Leben auf Eis und wir fühlen uns wie aus der Welt gefallen. Durch eine Krankheit oder den Verlust eines geliebten Menschen, durch Arbeitslosigkeit.“ Diese Zeiten des Rückzugs - Lebensphasen, „die sich wie Winter anfühlen“ - nennt die Autorin ‚Winter‘. Und sie schlägt den Bogen zur Natur. Die Natur braucht den Winter. „Für Pflanzen und Tiere gilt: Überwintern ist Teil des Überlebens. Und dasselbe gilt für uns Menschen“, die häufig so tun in unserer geschäftigen Welt als bräuchten sie den Winter nicht.
Unser Leben verläuft wie die Natur zyklisch. Mal geht es uns gut, mal schlecht; mal wirkt alles einfach, mal wissen wir nicht weiter. Doch nach jedem Winter, wenn wir uns Ruhe und Innenkehr gegönnt haben, gehen wir gestärkt und ein wenig weiser aus ihm hervor. Wir gehen unser Leben verändert weiter. Das ist letztlich die Quintessenz des Buches.
Dieses Buch wird in der Ich-Perspektive erzählt und ist zum einen autobiographisch geschrieben und zum anderen ein Sachbuch. Die Autorin verbindet ihre persönlichen Erfahrungen mit Sachthemen und ihrem literarischen Wissen als Dozentin für Creative Writing. Sie beschreibt mutig ihre eigene depressive Episode und hangelt sich von den Vorbereitungen des Winters (September) bis zum Beginn des Frühlings (März) durch die Wintermonate.
Sie erzählt von ihren Ängsten, berührt mich mit dem Satz: „Darf ich überhaupt spazieren gehen, während die anderen bei der Arbeit erhöhten Einsatz leisten müssen, um mein Fehlen auszugleichen?“ Denn genau so hatte ich mich damals während meiner langen Krankschreibungen auch gefühlt.
Sie erzählt von Island, Halloween, Transformation in Mythologien, der Haselmaus und ihrem Schlaf, der heiligen Lucia, vom Mittwinter, dem Wolf, Schnee, Schwimmen in kaltem Wasser, dem Überwintern der Bienen, vom Singen. All das verbindet sie intelligent mit sich und ihrem eigenen Erleben. Manchmal waren mir ihre Sachbeschreibungen zu langatmig und ausufernd. Die hätten für meine Begriffe kürzer ausfallen können. Wenn Katherine May zu ihren persönlichen Erfahrungen zurückkehrte, fühlte ich mich wieder wohl und konnte vieles, was sie beschrieb, sehr gut nachempfinden.
Eine klare Leseempfehlung für jeden persönlichen Winter.
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